Dritter Bericht

Autor: Helmut Geifes
Archivar: Hans Bruns

Dem Bericht Nr. drei muss eine Vorankündigung zugestanden werden. Es gab einmal in Willich eine Volksbühne, deren Hauptdarsteller (leider) alle verstorben sind. So kann ich also ohne in Bedrängnis von Persönlichkeitsverletzungen zu kommen, frisch von der Leber loslegen.

 

EN DE HÖTT

En De Hött
Originalzeichnung von Herbert Voetz

Ich habe schon etwas kämpfen müssen, ob das Erlebte der 50er und 60er Jahre irgendjemanden interessiert. Von Seiten der Seriosität dürfte es also die nächsten Seiten nicht geben. Aber da ich den Kampf verloren habe, bin ich nun gezwungen, den Beitrag zu bringen.

 

Versuchen will ich mal, die Stimmung dieser zu jener Zeit einzigartigen Kneipe zu treffen. Drei Originale, Thekla als Seniorin und Hötte Pitter mit seiner Maria waren die Hauptdarsteller dieser Dorfbühne. Thekla, schon in der 80ern, bekam immer nur die Hälfte mit und maulte über alles was ein Bier bestellte, und damit auch noch Arbeit machte. Es war ein Tag im schon kühlen September, der einige Stammgäste im Lokal vereinte. Da mein Heimweg vom Radtraining immer in Sichtweite dieses Kneipentempels war, so war ich auch an diesem Tag Gast im Hause. Thekla bediente wie üblich mit mürrischer Mine die anwesenden sechs bis sieben Gäste, die ihren fürchterlichen Durst löschen wollten. Dann gesellte sich noch seine Majestät von 1952 K.K., der ebenfalls durstig, und dazu noch kalt war, dazu. Seine erste Feststellung, dass an einem so schudderigen Tag eigentlich der Ofen an sein müsste, wurde von allen lebhaft beigestimmt. Im Unterbewusstsein war schon zu spüren, hier kann was gedreht werden. Jedenfalls es kribbelte. Dazu muss man wissen, dass während des gesamten Sommers die gebrauchten und feuchten Bierdeckel, in den im Lokal stehenden Kanonenofen entsorgt wurden. Da waren also die Requisiten!

 

Natürlich ging das Feuer viermal aus, bevor ein wenig Zug in den Ofen kam. Aber dann war was los, ob zusätzlich noch der Kamin verstopft war, weiss ich nicht. Jedenfalls gab es eine wüste Rauchentwicklung. Thekla schrie nach dem Hötte Bur, der das Feuer löschen sollte. Der aber lag, zwecks  innerer Betrachtung halb ausgezogen  in seinem Bett, und wollte sich auf keinen Fall stören lassen. Unten in der Kneipe wurden erste Mühen gemacht die Feuerwehr zu holen, in Erwartung eines schlimmen Brandes. Irgendwie muss nun der Hötte Pitter in seinem Halbsuff mitgekriegt haben, das Qualm in der Kneipe ist. Er kam in Unterhosen und mit wirrem Haarschopf die Treppe runtergestolpert um zu retten, was noch zu retten war. Alle Gäste gaben gute Ratschläge, die darin gipfelten, doch die Glut aus dem Ofen zu nehmen. Da dieser Vorschlag vernünftig war, wurde er von allen Gästen unterstützt.

Der Hötte Bur sauste in seine Küche und kam mit einem leeren Sanella (Margarine) Karton zurück. Wir waren alle baff. Damit sollte Hilfe kommen? Und ob! Die Feuertür des Ofens wurde aufgerissen und hustend, sowie weiter fürchterlich maulend, wurden die glimmenden Bierdeckel in den Karton gepackt. Dann fasste sich der Herr Wirt ein Herz, machte die Augen zu um die Glut auf den Hof zu tragen. Unterdessen war der Boden des Kartons durchgebrannt und der ganze schwelende Segen ergoss sich auf den Kneipenboden. Wutentbrannt warf der Hötte Bur den brennenden Karton noch hinterher und schuf damit erst recht ein Fegefeuer erster Klasse. Alles maulte und gab weiterhin gute Ratschläge, die die Stimmung noch mehr anheizten. In dieses Durcheinander hinein wurden dann mit Wasser gefüllte Sektkübel zum Einsatz gebracht, was dann nun endlich das Schlimmste verhinderte. Es ist und war unvorstellbar wie diese Kneipe ausgesehen hat. Die Feuersbrunst wurde natürlich mit HANNEN ALT begossen und gab Anlass für weitere Darbietungen.

 

HistorischeBilder_16Dieser Anlass war schnell da. Ein Herr B aus Anrath, der in der Brauerei als Klempner arbeitete, gewann beim abendlichen Skatspiel ein Spanferkel. Dieses niedliche Tierchen konnte ja nun nicht so einfach mitgenommen werden. Schließlich war man ja dem Tierschutz verpflichtet. Auch musste die heimatliche Partnerin schonend auf diesen Gewinn eingestimmt werden. Hötte Bur ließ sich überreden, das Tier bis zum nächsten Tag in Pflege zu nehmen, Nach ungefähr einer Woche wollte der Wirt das Ferkel, da ja auch gefüttert werden musste, los werden. Herr B bat noch mal um Aufschub, weil der Stall noch nicht fertig sei. Über Wochen ging das so. Unterdessen war aus dem Ferkel ein Schwein geworden und war Thema Nr. 1 in der Kneipe. Der Gipfel der Hinterlist war es nun, das Schwein in der weiträumigen Hofanlage zu verstecken. In der Kneipe wurde dann beiläufig erzählt, der Wirt hätte die Sau hinterrücks verkauft, weil man ja kein Grunzen mehr höre. Andere Gäste pflichteten dann, in anbetracht des kommenden Theaters, dieser Ansicht bei. Schließlich war Meinung, dass man dem Hötte Bur so etwas nicht zugetraut habe fremdes Eigentum zu verkaufen. Das Bier floss in Strömen und alle schauten von oben herab auf den Besitzer der Zapfhähne. Schließlich war Pitter auf hundert und meinte, kommt in den Stall, da  ist die Sau. Gesagt und getan war eins.

Von wegen, die Sau ist im Stall! Die Sau war weg.  Hötte Pitter bekam bald einen Tobsuchtsanfall, hatte er doch noch vor zwei Stunden das Schwein gefüttert.

Nun wurde listigerweise seine Frau, Hötte Marie ins Spiel gebracht. Um nun diesen Schachzug zu verstehen muss man wissen, dass Asbach und junge Bauernkerle ihre Hobbys waren. Aufgrund dieser Leidenschaften war sie immer in Geldnöten. Diese Geldnot, wurde nun laut vermutet, habe Marie veranlasst die Sau zu verkaufen. Aufgrund dieses Vorwurfes kam nun auch sie in Rage und wollte die gesamte Kundschaft rausschmeißen. Nun gab es von den Gästen den Hinweis, dass ein solcher Rausschmiss von Gesetzes wegen nicht statthaft sei.

Sie sei verpflichtet weiterhin Bier und Schnaps zu verkaufen.

In dieses ganze Theater tauchte nun auf einmal der Herr B aus Anrath auf, um sein Schwein abzuholen. Nachdem die Gäste Herrn B glaubhaft gemacht haben, dass die Sau wahrscheinlich vom Hötte Bur schon verkauft worden sei, wollte Herr B aus Anrath sofort die Staatsanwaltschaft telefonisch informieren um Klage einzureichen. Um dies zu verhindern, riss der Gastronom kurzerhand die Telefonschnur vom Hörer und schwor dem verhinderten Schweinebesitzer, die Sau bis morgen wieder zu beschaffen. Er würde den Drecksack, der die Sau von seinem Hof geklaut habe schon finden, und damit die ganze Sache ohne Gerichtstermine zu Ende bringen. Morgen hätte er die Sau wieder da und dann sei ja alles wieder gut. Herr B gab jedoch zu verstehen, dass es auch bestimmt sein Ferkel sein müsse. Ein fremdes Schwein würde er nicht übernehmen.

Auch mit wenig Phantasie kann man sich vorstellen, wie die Wogen hochgingen. Solche Vorstellungen waren abendfüllend und wiederholten sich wöchentlich. Zum guten Schluss wurde das Schwein offiziell und redlich geschlachtet. Der Erlös ging in die Kneipenkasse.

 

Ein erbeuteter Käse

Ein erbeuteter Käse

Mit der nächsten und damit letzten Erzählung will ich nun den dritten Akt des Dorftheaters eröffnen. Auf Grund der enormen Ausweitung des HANNEN ALT Geschäftes wurde ein Grafiker gesucht und gefunden. Dies war dann ein Herr F. Der steckte in einem weißen Kittel und verbreitete Kunst, wie das Leuten dieser Gewerberichtung so eigen ist. Dazu haben sie standesgemäß permanenten Durst und sind dadurch äußerst kreativ. Dazu kam noch, dass er seine Ausbildung in Köln zustandebrachte und demzufolge schon von zu Hause bierfest war. Mit diesen Gaben gesegnet, wurde er nach gebührender Zeit in die Feinheiten der Hött eingewiesen. Auf Grund seiner Lerntalente war er also ein prima Sparringspartner.

In der Hött stand rechterhand vom Eingang ehemals ein Kamin. Dieser ragte, weil früher so gebaut wurde, in den Kneipenraum. Der Kaminnachbar war eine Familie S, was man als Hintergrundinformation wissen muss. Eines Abends, in seeliger Bierlaune, sagte jemand zum Hötte Bur, der Kamin gehört dir nicht, der gehört zum Nachbar. Den Kamin hättest du bei der letzten Renovierung nicht streichen dürfen. Der Nachbar S hat sich bei der Gemeinde schon beschwert und du musst die Farbe wieder abkratzen. So schaukelte sich über Wochen die Diskussion auf, weil jeder noch seinen Senf dazugab. Mittlerweile wurde der Wirt fuchsteufelswild, weil alle nun mit Bestimmtheit unterstellten, das der Kamin wirklich nicht sein Eigentum sei. In diese vorbereitete Stimmung hinein wurde nun der Herr F ins Spiel gebracht.

Ausgestattet mit einem weißen Kittel, Schlapphut auf und mehrere Zollstöcke zur Hand, die er mit treuem Dackelblick auf die Theke legte, gab er seinen Einstand. Der Hötte Bur schaut mich an und fragt: “Wer es datt dann?“ Ich hebe die Schulter und sage: „Der ist von einem Bauunternehmer und soll ausmessen wie das mit dem Kamin ist“. Ich hätte in der Brauerei gehört, es läge ein Antrag vor, den Kamin von S abreißen zu lassen. Was soll ich sagen, alle Kneipengäste spielten mit. Der Kölner Grafiker wurde beinahe vom Wirt verdroschen, so war er in Rage. So ein zugezogenes A-loch hätte doch keine Ahnung von den Besitzverhältnissen in Willich. Seine Familie wohnt schon seit über 150 Jahren hier und er hätte es nicht nötig einen fremden Kamin zu nutzen. Hötte Marie genehmigte sich einige Asbach um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Der Hinweis, dass der Herr F doch nur beauftragt sei, ließ der Herr der Zapfhähne nicht gelten. So einen aufgeblasenen und arroganten Kerl sei noch nie in seiner Kneipe gewesen. An sein Eigentum pfusche keiner rum. Wer nun sein Eigentum anzweifele solle gefälligst zum Katasteramt gehen und feststellen wem der Kamin gehöre.

Eröffnung der Fußgängerzone

Eröffnung der Fußgängerzone

Da die Eigentumsfrage an diesem Abend wieder nicht gelöst werden konnte, durfte der Herr F ausnahmsweise bleiben und besoff sich nach Strich und Faden. Es kam soweit, dass sich die beiden Kontrahenten das Du anboten.

Am nächsten Morgen brachte der Grafiker seine Zufriedenheit vor, dass er einen so schönen Job in Willich habe. Er sei erfreut dass in Willich so viel los sei.

Der Hötte Bur war während des Krieges bei der Kavallerie angestellt. Wehe wehe es behauptete jemand, er sei mal vom Pferd gefallen. Der Abend war gerettet !

Mit diesen Volksstücken ist nun Schluss… Es soll damit der Zeitgeist der 50er und 60er Jahre angedeutet werden. Es war eine Zeit der Vollbeschäftigung und des permanenten Aufschwunges. Es wurde Geld verdient, und davon auch einiges auf den Kopp gehauen. In dieser Zeit schwammen auch die Jungspunde des Schützenzuges mit, und versuchten einiges mitzubekommen. Davon zehren die alten Säcke heute noch.

St. Katharina

Originalzeichnung von unserem ersten Zugführer Willi Bruns

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